Wasserausfall

Ist Vorbereitung alles?

Montagmorgen. Wie jeden Wochentag stehen Abu und Um Abdo um 7:00 Uhr auf, um sich für ihren Deutschkurs fertig zu machen. Doch als Abu Abdo das Wasser in der Dusche aufdrehen will, läuft ein letztes Rinnsal aus dem Schlauch und dann: Nichts! Wie kann das sein? In Deutschland? Kein Wasser? Auch Um Abdo hat es bereits bemerkt, als sie in der Küche Kaffee kochen wollte. Abu Abdo läuft es kalt den Rücken runter läuft. Wie soll er ungeduscht in den Sprachkurs? Ohne Frühstück und Kaffee? Wann wird das Wasser zurückkehren? Er will um keinen Preis zu spät kommen und das Klischee des unpünktlichen Arabers bedienen. Er eilt zu Um Abdo in die Küche. »Gibt es hier auch kein Wasser? Was sollen wir denn jetzt machen? Wo bewahrst du die Kanister mit dem Wasser für solche Fälle auf?«, fragt er fast schon panisch. Aber Um Abdo ist auch überfragt. »In Deutschland«, sagt sie, »fällt das Wasser nicht aus. Ich habe keine Kanister mit Wasser gelagert.« Die Situation erinnert sie an ihr früheres Leben in Aleppo. Dort war sie auf solche Eventualitäten immer vorbereitet…

Diese Anekdote haben Abu und Um Abdo* in einem Interview mit der Stadtanthropologin Lisa Jöris geteilt.

Die staatliche Wasserversorgung in Aleppo, der nordwestlichen Metropole Syriens, war auch schon vor Beginn der Revolution 2011 und bevor Kampfhandlungen große Teile der Stadt und ihrer Infrastrukturnetzwerke ab 2012 zerstörten, nicht durchgehend gewährleistet. Das sogenannte »Taqnin«-Programm sah eine Verteilung des Wassers zwischen den verschiedenen Vierteln der Stadt vor. Das arabische Wort taqnin bedeutet übersetzt in etwa »Rationierung«. Die maroden Leitungs- und Pumpsysteme wären nicht in der Lage gewesen, die gesamte Stadt gleichzeitig mit dem kühlen Nass zu versorgen. Die Folge: in den allermeisten Vierteln fiel in regelmäßigen Abständen für einen Zeitraum von mehreren Stunden das Wasser aus. Das bedeutete aber nicht, dass die Bewohner*innen in dieser Zeit auf dem Trockenen saßen. Die einzelnen Haushalte haben, auf eigene Kosten, vorgesorgt: Tanks, meist auf den Dächern aufgestellt, fassten Hunderte oder Tausende Liter – je nach Größe und verfügbarem Platz –, die in diesen Stunden angezapft werden konnten. Trinkbar war dieses abgestandene Wasser jedoch nicht. Deswegen füllten die Stadtbewohner*innen, meist die Frauen im Haushalt wie Um Abdo, Kanister oder Wasserflaschen auf, wenn gerade Wasser aus den Leitungen kam und verstauten sie in Küche und Kühlschrank. Dinge wie beispielsweise Wäschewaschen wurden bewusst in die Stunden verlegt, in denen für gewöhnlich keine Wasserausfälle zu erwarten waren. Die allermeisten Wohnungen in Aleppo verfügten in den Böden der Innenräume über Abflüsse, damit der hartnäckige Staub der Stadt mit Eimern von Wassern weggewaschen werden konnte. Stand so eine Reinigung an, ließ Um Abdo vorher die Badewanne volllaufen, um sicher zu sein, nicht plötzlich ohne Wasser da zu stehen.

»Die Leute kannten den Staat nur als jemanden, der die Steuern einsammelte, nicht als eine Institution, die Dienstleistungen anbot. Außer natürlich denen mit Vitamin B und viel Geld. Die waren gut versorgt oder haben schnell jemanden angerufen, wenn sie etwas brauchten.«

Husam* (Interview mit Lisa Jöris, Februar 2019)

»Vor dem Krieg gab es kaum Wasserausfälle, wie viel ist denn schon eine Stunde oder auch mal zwei. Es gab Wasser, jeden Tag. Wir haben wirklich nicht Not gelitten. Selbst wenn der Strom mal für zwei, drei Tage ausgefallen ist, hatten wir Wasser, wir hatten ja den Tank.«

Ibrahim* (Interview mit Lisa Jöris, März 2019)

Für viele hat sich dank der entsprechenden Vorkehrungen keine größere Herausforderung aus den regelmäßigen Wasserausfällen im Alltag ergeben. Zumindest nicht im Rückblick und vor dem Hintergrund, dass sie noch viel schwerwiegendere Einschränkungen in der Versorgung während des Krieges erlebten. Hier fiel das Wasser in manchen Stadtvierteln über mehrere Wochen aus, da reichte auch kein 2 000 l-Tank mehr zur Überbrückung.

Doch syrische politische Aktivist*innen sehen es mehr kritisch als positiv, mehr als ein Zeichen der Schwäche als der Selbstermächtigung, dass sich die Bevölkerung der schlechten Versorgungslage anpasste. Ahmad, ein junger Syrer und Aktivist in der Revolution, erzählte Lisa Jöris, ebenfalls in einem Interview:

»Manche nennen es einen positiven Bewältigungsmechanismus, dass die Leute Lösungen für alle möglichen Infrastrukturprobleme gefunden haben. Der Strom fällt ständig aus? Dann kaufen wir eben Lampen mit Batterien. Aber das spiegelt die politische Situation vor dem Krieg wider: du kannst nicht erwarten, dass der Staat etwas leistet, statt Investitionen gibt es Korruption. Und statt sich dagegen zu wehren, hatten die Leute Angst und erfanden Strategien, wie sie nicht im Dunkeln und auf dem Trockenen sitzen.«

Ahmad*, Interview mit Lisa Jöris, März 2019

* Auszüge aus Interviews und Feldforschungsnotizen, die im Rahmen von Lisa Jöris’ Forschung entstanden sind. Namen wurden zum Schutz der Interviewpartner*innen anonymisiert.

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