Temporäre Unterkünfte, langwierige Wohnungssuche – und ein neues »Zuhause«?

Das Zuhause, den eigenen Ort mit all seinen Widersprüchen, die eigene Wohnung oder das eigene Haus, all das wurde von geflüchteten Menschen aus Syrien zurückgelassen. Meist unwiederbringlich. Teilweise geschah dies abrupt, der Not oder Zerstörung geschuldet, ohne Vorbereitungen. Teilweise geschah es auch in einem längeren Prozess, an dessen Ende der Aufbruch und das Verlassen standen – so auch bei Hanan.

Als sie das letzte Mal ihre Wohnung verließ, wusste Hanan, es ist das letzte Mal, erzählte sie. Sie schloss ab, ist dann wieder umgedreht, schloss noch einmal auf und holte ihre liebste Kaffeekanne. Dann hat sie ein letztes Mal abgeschlossen.

Hanan* verließ 2017 mit ihrem Mann ihre Wohnung in Aleppo

Auf dem Weg nach Deutschland fanden geflüchtete Menschen aus Syrien temporär „Unterkunft“ in Camps und Lagern, oder aber unter freiem Himmel und auf der Straße – manche auch bei Verwandten im Libanon, dem Irak, oder der Türkei. Dabei konnte die Frage nach der Unterbringung entscheidend dafür sein, ob man sich länger oder kürzer in einem der Transitorte aufhielt.

»Meine Kinder und ich waren schon zu fünft und dazu noch meine Familie in der Wohnung in Istanbul. Wir waren wirklich sehr viele. Weder am Tag noch in der Nacht konnten wir schlafen. Am Ende beschwerten sich die Nachbarn … Dann habe ich meine Kinder genommen und bin mit ihnen weiter zu meinem Schwager.«

Barin, die mit ihren Kindern über die Türkei nach Deutschland kam*

Die Ankunft in Deutschland bedeutete für viele »Unterbringung« in Notunterkünften bzw. »Erstaufnahmeeinrichtungen« in Sporthallen, Flughäfen-Hangars oder Containern. Theoretisch sollten die Geflüchteten bis zu sechs Monate in solchen Unterkünften leben. Oft dauerte es aber auch viel länger, bis sie in eine »Gemeinschaftsunterkunft« verlegt wurden. Diese Zeit ist in der Erinnerung vieler besonders durch das beengte Wohnen, das Fehlen von Rückzugsmöglichkeiten, eigener Sanitäranlagen und auch Kochmöglichkeiten geprägt.

»Im Heim hast du das Gefühl, dass nichts dir gehört. Alles ist gemeinschaftlich. Man fühlt sich nicht sehr wohl im Heim, besonders wegen der Küche.«

Shams*

Für sich selbst und/oder die Familie das eigene Essen zuzubereiten, ist ein elementares Bedürfnis und wichtiger Baustein im Prozess, sich wieder ein »Zuhause« zu schaffen (»Home-making«1). Der Weg zu einer eigenen Wohnung kann viele Monate, manchmal Jahre dauern. Größere Chancen haben diejenigen, denen ein anerkannter Schutzstatus zugesprochen wurde (Flüchtlingsschutz oder auch subsidiärer Schutzstatus). Die Regelungen dafür, wer Anspruch auf eine Wohnung hat, weichen in verschiedenen Bundesländern und Kommunen stark voneinander ab. Insbesondere erschwert die generell angespannte Situation auf dem Wohnungsmarkt, aber auch teilweise diskriminierende Vergabepraktiken2 die Suche nach den eigenen vier Wänden. Größere Familien stehen dabei vor besonderen Problemen, aber auch alleinstehende Männer haben oft Schwierigkeiten, ein eigenes Zuhause zu finden, da ihr Bedarf als weniger dringlich eingeschätzt wird.

»Ich wünschte, ich hätte ein kleines Zimmer, in dem ich schlafen und aufwachen kann, wann immer ich will (…) In dieser Stadt muss es ein Zuhause für uns geben.«

Zeinab*

Für manche ist daher die Hilfe eines »Simsar« (arab. für Vermittler) die einzige Möglichkeit, eine Wohnung zu finden. Diese informellen Makler verlangen jedoch horrende Vermittlungspreise für ihre Unterstützung. Doch auch lokale Initiativen und Organisationen wie die Caritas unterstützen geflüchtete Menschen bei der Wohnungssuche. In anderen Fällen helfen Freunde und Verwandte. Circa drei Viertel der Geflüchteten, die seit 2013 in Deutschland ankamen, leben (laut einer Analyse des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge3) inzwischen in einer privaten Wohnung. Doch was heißt es, dort anzukommen, sich wieder »einzurichten«, in einem komplett anderen Kontext, einem neuen Bezirk und mit neuen Nachbarn, mit denen man oft nicht kommunizieren kann?

So anders es auch ist, sie fühle sich selbst jedoch in Berlin-Marzahn an Syrien erinnert, erzählte mir Nora. Die Architektur, es sei grün und ruhig, fast wie in ihrem alten Vorort von Damaskus.*

»Sich einzurichten« ist ein materieller und emotionaler Prozess zugleich. Für arabisches Dekor ist in Berlin unter anderem »Amira« in der Sonnenallee bekannt. Hier gibt es von Gardinen bis Lampen in syrischem Stil alles, um eine neue Wohnung zu gestalten. Wer einen Balkon hat, kann wie in Syrien Jasmin, Minze oder Rosen anpflanzen.4 Eine eigene Wohnung erlaubt es auch endlich wieder, Gäste zu bewirten – sofern es pandemiebedingt denn möglich ist. Vieles gehört dazu, damit sich eine Wohnung anfühlt wie ein neues Zuhause – Normalität lässt sich jedoch auch im Wohnen nicht einfach wieder herstellen.

* Auszüge aus Interviews und Feldforschungsnotizen, die im Rahmen von Sarah Jurkiewicz’ Forschung zu Ankommen in Berlin-Marzahn 2019/2020 entstanden sind. (anonymisiert) Siehe: Jurkiewicz, Sarah (2020): Zwischenräume: Neun Frauen erzählen über Wege der Flucht und das Ankommen in Berlin Marzahn. Berlin: tobios.

 

1 Zu Migration und »Home-Making« siehe: homing.soc.unitn.it/publications/ und Sara Ahmed (1999): »Home and away: Narratives of migration and estrangement.« International Journal of Cultural Studies 2(3):329-347.

2 Siehe hierzu: Müller, Annekathrin. (2015): Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt. Strategien zum Nachweis rassistischer Benachteiligungen. Eine Expertise im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Berlin, S. 64 ff. und Foroutan, Naika/Hamann, Ulrike/El-Kayed, Nihad/Jorek, Susanna (2018): »Zwischen Lager und Mietvertrag – Wohnunterbringung von geflüchteten Frauen in Berlin und Dresden.« Berlin: Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung.

3 BAMF-Kurzanalyse Ausgabe 05|2020 des Forschungszentrums Migration, Integration und Asyl des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge: »Entwicklungen in der Wohnsituation Geflüchteter« von Kerstin Tanis.

4 Siehe hierzu das Forschungsprojekt von Hilal Alkan.

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